Parsifal

Die Wege des Parsifal

Eigenartigerweise – vielmehr glücklicherweise – steht am Beginn vieler meiner Werke ein musikalisches Erlebnis.

So war es auch mit meiner Geschichte des Parsifal. Ich hörte eines Tages mit dem Kopfhörer den Beginn des Parsifal-Vorspiels. Obwohl ich nicht unbedingt als ambitionierter Hörer der Musik Wagners zu bezeichnen wäre, haben mich gleich die ersten Takte dieses Vorspiels derartig beeindruckt, daß ich begann, mich mit dem Mythos des Parsifal näher zu beschäftigen. Wie sich herausstellte, sollte dies eine Beschäftigung von mehr als 20 Jahren werden. Natürlich kamen aus den Erinnerungswolken all jene Rittergeschichten von Prinz Eisenherz und König Artus zu mir zurück, die ich in der frühen Jugendzeit gelesen hatte. Dabei handelte es sich ebenfalls um Bildgeschichten, deren zeichnerische Qualität außerordentlich war – ich habe sie nach wie vor präsent.
Es gingen etliche Jahre vorüber, ohne zunächst an eine malerische Umsetzung zu denken. Ich las immer wieder Literatur dazu – und hörte vor allem das von Wagner so genannte „Bühnenweihspiel“ in zum Teil beeindruckenden Aufführungen, sowohl in musikalischer als auch szenischer Hinsicht.

Taten und Leiden des Lichts
Einen ersten Ausflug zur Bildfindung machte ich kurz nach einer dieser Aufführungen. Und zwar sah ich in einer Ecke meines Ateliers ein Stück Karton mit 3 Farbfeldern. Diese Farbflächen hatten keinerlei besondere Bedeutung, sondern waren ganz einfach durch das Verreiben und Abmischen der Farben für meine verschiedenen Tempera-Bilder gewachsen. Feuriges Gelb-Rot, gedämpftes Rot-Violett und Aquamarin. In sehr spontaner Weise begann ich, einige Lebenspunkte am Weg des Parsifal mit dieser Farbskala zu verbinden.
Eine wesentliche Erweiterung dieses Gedankens wurde aber erst möglich, als ich mich mit der Farbenlehre von Goethe zu beschäftigen begann. Denn diese verdeutlichte mir den grundlegenden Prozess der Wahrnehmung der Farben und vor allem die Tatsache, dass das Dunkle für die Wahrnehmung eine ganz wesentliche Bewandtnis hat. Das war es ja gerade, das Goethe so in Opposition zu Newton brachte. Für Newton hatte das Dunkle keine Bedeutung.*
Es ist für die Entstehung der Farben – zum Beispiel am Horizont bei Tag- und Nachtwechsel – ein Unterschied, ob sich das Dunkel der Nacht gegen die Restlichter des Tages schiebt, oder ob die Lichtkräfte des Tages die Nachtfinsternis vertreiben.
Als ich diese Vorgänge näher untersuchte, formte sich in mir die Idee, dass man die Erlebnisse des Parsifal mit den Farben der Himmelserscheinungen sehr gut in Beziehung bringen kann.

Gilgamesch, Dante, Parsifal
Die Dichtung Wolfram von Eschenbachs, die das Werden und Wachsen der Menschenseele beschreibt, hat auch einige Verwandtschaft zu anderen epochalen Werken der Literatur, wie das Gilgamesch-Epos aus der frühmesopotamischen Kultur oder die Divina Comedia von Dante: Immer geht es um den Aufbruch des Menschen aus seiner narzisstisch angelegten Sphäre, aber auch um die Bereitschaft zur Gewalt, solange eine gesicherte Identität noch nicht erworben ist. Es geht um die Berührung eines anderen Menschen und damit um die Erfahrung, wer man selbst eigentlich sei. Das aber erst ist der Moment, wo der Narziß erkennen kann, dass er nicht alleine die Welt bevölkert. Erst nach dieser Erfahrung ist er in der Lage, seine Empfindung, sein Mitleid, nunmehr mit der gesamten Kreatur und der ganzen Menschheit zu teilen.
Ehe dies aber möglich wird und in gesicherte Schichten des Bewusstseins vordringen kann, bedarf es der Dunkelheit des Waldes und der langen Wanderung in dieser.

*) Um nicht den Eindruck von einseitiger Gewichtung der Sympathie zu erwecken: ohne Newtons essentielle Erkenntnisse und Beschreibungen hätte wohl Goethe weder Anlaß noch Motivation für seine Farbenlehre gefunden.